Marion von der Hand bei Leoni: Frauen in der Logistik: „ Die Luft wird sehr dünn“

Redaktion (allg.)

Frauen sitzen in der Logistik nur selten in der Chefetage. Marion von der Hand, verantwortliche Logistikerin beim Automobilzulieferer Leoni, hat es geschafft. Axel de Schmidt, stellv. Chefredakteur LOGISTIK HEUTE, hat sie zu ihren Erfahrungen als „Bunter Vogel“ in der Männerbranche befragt.

 

 

LOGISTIK HEUTE: Fühlen Sie sich gelegentlich einsam?

Marion von der Hand: Ich kenne keine Führungskraft, die sich nicht einsam fühlt. Die Luft wird sehr dünn.

Dann dürfte der Sauerstoffgehalt für eine weibliche Führungskraft in der Männerdomäne Logistik, noch dazu in der Automobilindustrie, doch kaum noch messbar sein...

Wenn eine Frau mit in der Führungsmannschaft sitzt, meistens sind es nur eine oder zwei, ist sofort eine andere Atmosphäre da. Das werden Ihnen die meisten Männer bestätigen. Es soll angeblich eine bessere Atmosphäre sein. Die meisten Männer behaupten von sich, sie würden sich dann auch ordentlicher benehmen, als wenn keine Frau dabei wäre. Einsam, da haben Sie eindeutig Recht, ging es im Einkauf zu, wo ich eigentlich herkomme. Denn da gibt es in Führungspositionen in Deutschland kaum eine Frau. Da war ich in den letzten 15 Jahren schon ein Novum. Das Thema Logistik ist dann nur noch ein „Add-on“ gewesen.

Dann sind Sie, mit Verlaub, wohl eher so eine Art „Bunter Vogel“?

Ja, man fällt überall auf und steht, ohne das man es will, teilweise dann auch im Mittelpunkt. Damit muss man lernen, umzugehen.

Hat denn dieser Status mehr Vor- oder Nachteile?

Er ist lästig.

Müssen Frauen in Führungspositionen mehr leisten, um die selbe Anerkennung wie ihre männlichen Kollegen zu bekommen?

In jungen Jahren ist das zweifelsohne meine Erfahrung gewesen. Ich gehöre hoffentlich zu der Generation, die da den Weg etwas geebnet hat. Wenn heute eine Frau mit Mitte 30 eine Führungsposition erhält, hoffe ich, dass sie nicht mehr so viel kämpfen muss. Ich habe immer zu der Kategorie gehört, 120prozentig sein zu müssen, damit 100 Prozent anerkannt werden.

Nützt Ihnen inzwischen Ihre enorme Berufserfahrung in Einkauf und Logistik?

Ja, Lebens- und Berufserfahrung! Heute zählt die Leistung, da ist das uninteressant.

Unter welchen besonderen Bedingungen sind Sie in der Automobilzulieferindustrie tätig?

An einer Einkaufsleiterin eines Kosmetikkonzerns würde kein Mann Anstoß nehmen. Oder in der Mode. Aber bei einem Automobilzulieferer? Das kann nicht sein, das geht nicht... Da muss sich das Gegenüber erst daran gewöhnen. Bei mir gilt nicht, aha, ein Frau, da habe ich leichtes Spiel... In jungen Jahren habe ich das quasi körperlich gespürt.

Mit welchen Strategien haben Sie sich darauf eingestellt?

Durch "Learning by doing". Immer wieder. Sie fangen an, an sich selbst zu arbeiten. Da kann es auch verbal einmal brutaler zugehen. Ich habe es offen angesprochen, dann war das Eis gebrochen. Heute habe ich in der Branche einen Namen. Die meisten Lieferanten können mit dem etwas anfangen.

Wie sehen denn heute aus Ihrer Sicht die Perspektiven jüngerer Frauen in der Logistik aus?

Ich glaube nicht, dass sich da in den nächsten ein, zwei Generationen viel ändern wird. Auch dann wird man nicht sagen, Frauen in Führungspositionen in der Logistik sind etwas völlig Normales. Dazu müsste sich unsere gesamte Gesellschaft verändern.

Was sind die Grundvoraussetzungen für den Erfolg weiblicher Führungskräfte, auch in der Logistik?

Sie müssen rhetorisch gut sein. Daran müssen die meisten Frauen arbeiten...

...dabei gelten Frauen doch als ausgeprägt kommunikationsstark...

Sie können auch ganz viel reden, ohne etwas zu sagen. Es geht um Gestik, Mimik, Gesprächsführung usw. Das kann man lernen – am besten so früh wie möglich im Berufsleben.

Also aktiv in Form von Rhetorikkursen?

Ja, Frauen und Männer. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer versuchen, sich ab einer bestimmten Führungsebene sehr diplomatisch zu verhalten, niemandem auf die Füße zu treten und bloß mit heiler Haut herauszukommen. Ich glaube dagegen, dass man sehr viel weiter kommt, wenn man ganz offen miteinander kommuniziert. Damit bringe ich einen Gesprächspartner zwar kurzzeitig aus der Fassung, aber er kann mich besser einschätzen und zeigt sich mir gegenüber dann auch offener. Hinzu kommt, dass die wenigsten Männer in Führungspositionen kommen, wenn sie kein Selbstbewusstsein haben. Demzufolge brauche ich das als Frau auch. Sonst bleibt man die graue Maus in der dritten Reihe.

Normiert diese angelernte Rhetorik nicht den individuellen Charakter? Oder überspitzt gesagt, werden aus Frauen Roboter?

Man darf nie den Kontakt zur Basis verlieren. Ich muss in der Lage sein, auf meinen Versandarbeiter zuzugehen und mich über seinen Job unterhalten können. Dann kommt keine „Norm“ in den Charakter. Bei jüngeren Universitätsabsolventen gibt es allerdings bedenkliche Tendenzen in dieser Richtung.

Welche Beobachtungen haben Sie da gemacht?

Viele kommen nach dem Prinzip „veni, vidi, vici“ und wollen ganz schnell Karriere machen. Die sind zu vorgeprägt und nicht wirklich offen und breit interessiert. Es geht aber darum, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Es gibt also zu früh zu viele Fachidioten?

Ein klares Ja. Das liegt auch an der Schulausbildung. Es fehlt dem Führungsnachwuchs schon am Allgemeinwissen. Allerdings muss man auch sagen, dass bei der heutigen wirtschaftlichen Lage Risiken und Fehltritte nicht gefragt sind.

Gehören Sie in dieser Hinsicht zu einer begünstigten Generation?

Ja. Ich habe am Anfang meines Berufslebens einen Chef gehabt, der mein Vater hätte sein können und der mich in jeder Beziehung gefördert hat. Zu der Zeit kochten Frauen in seiner Abteilung den Kaffee und tippten auf der Schreibmaschine. Als er später in Rente ging, hat er gesagt, er hätte nie eine so komplizierte Mitarbeiterin gehabt, wie mich. Ich habe eben immer alles hinterfragt. Aber, das war das Schöne, ich habe immer eine Antwort bekommen. Da klappte das Zusammenspiel. Jeder, auch jeder Mann, braucht einen Förderer, sonst strampeln Sie sich ab, können aber nichts erreichen. Da können Sie noch so gut sein.

Welche Erwartungen haben Sie an das logistische Führungspersonal bei Leoni?

In allen Firmen merken Sie, insbesondere in denen, wo die Produktion nicht mehr dort ist, wo Sie Ihren Job machen, dass die jungen Leute heute keinen Bezug mehr zu dem haben, was sie im Prinzip machen. Wenn ich für ein komplettes logistisches Konzept von der Logistikplanung durch die ganze Kette bis zum Endkunden verantwortlich bin und die Produktion nicht kenne, also nicht weiß, wie ein Kabelsatz produziert wird, dann habe ich null Chance. Ich lege allergrößten Wert darauf, dass unsere Logistikplaner in die Werke gehen, wo die Musik spielt. Die müssen zum Lieferanten und sich mit den Materialien auseinander setzen. Ich kann nicht in der blanken Theorie am grünen Tisch etwas machen und dann der operativen Ebene sagen: Mach’ mal! Das funktioniert nicht.

Frau von der Hand, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person:

Marion von der Hand, Jahrgang 1952, startete nach dem Abitur ihre berufliche Laufbahn in der Exportabteilung eines Glasflaschenherstellers in Düsseldorf. Als erste Frau in ihrer Geburtsstadt Wuppertal absolvierte sie die IHK-Ausbildung zum „Fachkaufmann Einkaufs- und Materialwirtschaft“. Anschließend trat sie in die Einkaufsabteilung des Automobilzulieferers Kromberg & Schubert ein. In den folgenden drei Jahrzehnten sollten Bordnetze und Kabel ihr Thema bleiben. In dieser Zeit war sie als Leiterin Einkauf und Logistik sowie in der Geschäftsführung tätig. Seit 2002 ist Marion von der Hand Global Supply Management Director der Leoni Bordnetz-Systeme GmbH & Co. KG in Kitzingen bei Würzburg. In dieser Funktion ist sie für den Serieneinkauf und die Logistik zuständig.

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