KARIS-Projekt: Universität Karlsruhe präsentiert Ansätze für fahrerlose Transportsysteme: Von der Ameise lernen

Redaktion (allg.)

Seit Jahren experimentieren Wirtschaft und Wissenschaft an innerbetrieblichen ­Transport­fahrzeugen, die ohne Fahrer auskommen. Dabei stoßen sie oft an Grenzen. Forscher der Universität Karlsruhe präsentieren Ende 2009 die Ansätze des KARIS-Projekts.

Fahrerlose Lkw, die wie von Geisterhand bewegt durch die Straßen fahren, kommen bisher nur in Filmen wie „Das fünfte Element“ vor. Die Zukunft rückt aber näher. An innerbetrieblichen Lösungen für fahrerlose Transportsysteme wird seit Jahren geforscht und die ersten Geräte – wie etwa Stapler ohne Fahrer – sind bereits in von der Öffentlichkeit abgegrenzten Gebäuden im Einsatz. Allerdings ist das perfekte System noch nicht gefunden.
Materialfluss-Experten wundern sich, warum nicht mehr Unternehmen oder Forscher das Thema vorantreiben. Denn eines steht fest: „Bei Realisierungen von Einzel- und Sammeltransporten für die Bereitstellung von Artikeln für die Kommissionierung, die Verpackung oder Montage liegt ein bisher fast ungenutztes Potenzial“, sagt Prof. Dr. Kai Furmans, Leiter des Instituts für Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL) an der Universität Karlsruhe. Zusammen mit Dr. Frank Schönung, Abteilungsleiter für modulare Fördersysteme am IFL, thematisierte er das in Aufsätzen und Vorträgen.

 

Ungenutztes Potenzial
Eine Erklärung, warum das Potenzial so groß ist, liegt in den veränderten Anforderungen an Materialflusssysteme begründet. Ein Beispiel ist etwa die Automobilherstellung nach der Just-in-time und Just-in-sequence-Methode, die das Ziel hat, Bestände zu reduzieren und den Firmen gleichzeitig ermöglicht, das Teilespektrum zu variieren. „Das Beispiel zeigt, dass die Industrie bei der Herstellung von Materialflusssystemen umdenken muss“, so Furmans. „Während bisher Anlagen jahrelang unverändert liefen, müssen die Unternehmen heute oftmals bereits nach wenigen Jahren den Materialfluss neuen Rahmenbedingungen anpassen.“
Vorhandene, fest installierte Materialflusssysteme können diesen Anforderungen nach Ansicht der Wissenschaft kaum gerecht werden. Und flexible Fahrzeuge wie etwa konventionelle fahrerlose Transportsysteme (FTS) erreichen nicht die erforderlichen Durchsätze. „Sie werden über eine zentrale, mehrstufig hierarchisch aufgebaute Struktur gesteuert, die sehr aufwendige Softwarelösungen erfordert. Sie zu ändern, ist nicht nur fehlerträchtig, sondern auch kostspielig“, so Furmans.
 

 

 

Technik schon vorhanden
Das Fazit der Wissenschaft lautet: Zukunftsfähige Logistiksysteme müssen we­gen der neuen Anforderungen konzeptionell grundlegend verändert werden. Die Technik für solche neuen Lösungen ist bereits weit fortgeschritten. Das zeigt der Blick auf Neuerungen in Bereichen wie etwa Energieübertragung oder drahtlose Kommunikation.
Die Karlsruher Forscher stellten sich der Herausforderung. Ehe sie selbst ein neues System ins Visier nahmen, analysierten sie die bereits vorhandenen Projekte. Aus den verschiedenen Ansätzen destillierten sie die wichtigsten Gemeinsamkeiten heraus.
Das Ergebnis in Kürze: „Die Entwickler haben einfache, kostengünstige und im laufenden Betrieb rekonfigurierbare Systeme im Blick. Sie streben, analog zum PC, plug & play-fähige Materialflusselemente an“, betont Schönung. Hohe Verfügbarkeit soll durch die Redundanz gleichartiger Elemente erreicht werden. Gemeinsam ist laut Schönung allen Konzepten (siehe Kasten), dass sie dezentrale Steuerungsansätze in unterschiedlicher Ausprägung beinhalten.

 

Intelligentes Modul
Nach der Analyse der bereits bekannten Initiativen brachte das IFL als Weiterentwicklung des ARMADA-Konzepts das Projekt KARIS (Kleinskaliges Autonomes Redundantes Intralogistik System) ins Rollen. Um die Lösung realisieren zu können, schlossen sich namhafte Firmen mit den Hochschulen TU Karlsruhe und der Universität Freiburg, alle Mitglieder des Intralogistik-Netzwerks Baden-Württemberg e. V., in einem Konsortium „AGT Intralogistik Baden-Württemberg“ zusammen (siehe Kasten S. 46).


Kernstück von KARIS ist ein Einzelmodul, das 50 cm breit, 50 cm lang und 40 cm hoch ist. Das Besondere: „Als autonome Einheit ist es in der Lage, alle Funktionen wie etwa Fortbewegung, Naviga­tion, Energieversorgung, Auftragsverwaltung und Kommunikation selbstständig durchzuführen“, erklärt KARIS-Projektleiter Thomas Stoll. Der große Vorteil sei, dass stets eine hohe Systemverfügbarkeit gewährleistet sei. Ein Einzelelement kön­ne kleine Fördereinheiten selbstständig abholen, transportieren und übergeben.


Wie aber funktioniert der Transport größerer Teile? Die Forscher schließen dafür mehrere Module zu einem Funktionscluster zusammen. Diese Clusterbildung haben die Wissenschaftler dem Verhalten von Ameisen abgeschaut, die gemeinsam Beutetiere schleppen. Bei der Clusterbildung sind zwei Varianten möglich: Der Unstetig-Cluster (UC) und der Stetig-Cluster (SC). Bei der ersten Version schließen sich mehrere Einzelelemente zusammen, um eine große Fördereinheit zu transportieren. Dieser dynamisch aufgebaute Cluster kann eine oder mehrere Teile analog zu einem FTS befördern. Beim Stetig-Cluster werden ebenfalls Einzelelemente zusammengefügt. „Durch den zeitlich begrenzten Aufbau dieses Stetigförderers können Anwender einen hohen Durchsatz erzielen“, betont Stoll.
Eine besondere Herausforderung bei der Umsetzung von KARIS ist für die Forscher die Gestaltung des Einzelelements: „Es muss flexibel und robust sein. Zudem soll es gleichzeitig mehrere Funktionen übernehmen können“, erklärt Stoll. Das stelle spezifische Anforderungen an Mechanik, Sensorik, Steuerung, Energieversorgung und Systemverwaltung.
Das größte Problem der Forscher ist die dezentrale Systemsteuerung. Die Steuerungsplattform muss Aufgaben wie etwa die Navigation oder die zeitweise autonome Steuerung von Einzelelementen übernehmen. Dafür müssen die Wissenschaftler beispielsweise diverse Algorithmen zur Unterscheidung von Objekten entwickeln.

 


Zweite Projektetappe
Mit den ersten Etappenabschnitten des Projekts ist das Konsortium zufrieden. „Neben der Begeisterung in den eigenen Reihen, die sich in der Eigenfinanzierung der Industriepartner widerspiegelt, ist es der AGT auch gelungen, das Wissenschaftsministerium vom Ansatz des Vorhabens zu überzeugen. Die Hochschul­institute werden jetzt aus Mitteln der Landesstiftung gefördert“, betont Heinrich Hippenmeyer von der am Projekt beteiligten Sick AG in Waldkirch und und gleichzeitig Sprecher der AGT.
Inzwischen ist das Projekt in eine zweite Phase eingetreten. Sie geht bis Ende 2009. „Es ist geplant, am Ende der Phase auf einer Versuchsfläche des IFL in Karlsruhe eine Demonstration zu zeigen. Ein aus mehreren Fahrzeugen bestehendes System soll einfache Aufgaben aus der Intralogistik lösen“, so AGT-Sprecher Hippenmeyer.
Auch der Einsatz in der Praxis wird vorangetrieben. „Derzeit untersuchen die Forscher mögliche Anwenderszenarien“, berichtet Hippenmeyer. Schon jetzt kommt er zu dem Ergebnis, dass mit KARIS „höchst interessante Aufgaben in der Logistik flexibler und ressourcenschonender gelöst werden können als mit konventionellen Systemen“. p/jö

 

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