Logistik-Branche im Fokus: Demografischer Wandel fordert neue Antworten von Technik und Personalmanagement: Im Tandem durchs Tal

Redaktion (allg.)

Demografie
Die Belegschaften werden von Jahr zu Jahr immer älter. Der demografische Wandel verlangt auch von der Logistik neue ­Antworten. Technik und Personalmanagement sind in den nächsten Jahren gefordert. Planen ­sollte man schon heute.

Die Deutschen werden immer älter. Der medizinische Fortschritt macht es möglich. Eine tolle Nachricht für jeden Einzelnen persönlich. Wir bleiben länger fit und können unseren Ruhestand aktiver gestalten. Einziger Haken: Es fehlen die jungen Menschen, die das Sozialsystem schultern und in den Unternehmen Werte generieren. Bei der Kinderproduktion halten wir Deutschen uns vornehm zurück, Elterngeld hin oder her, Kita-Platz ja oder nein. Deutschland wird zur alternden Republik. Der Nachwuchs fehlt.

Auch die Wirtschaft bekommt den demografischen Wandel in den nächsten Jahren stark zu spüren. Sonntagsreden helfen da nicht mehr. Handeln auch in der Krise ist gefragt. Die Logistik bildet dabei keine Ausnahme.

In zehn Jahren ist die große Mehrheit der Mitarbeiter in logistischen Prozessen über 50 Jahre alt, prognostizieren Demografieberater landauf, landab. „Ich befürchte, dass viele Unternehmen, auch aus der Logistik, das Thema verschlafen werden“, warnt Thomas Schalski-Seehann, selbstständiger Demografie- und Rentenberater aus Stade bei Hamburg. Er unterstützt seit eineinhalb Jahren vor allem mittelständische Unternehmen bei der Herausforderung „demografischer Wandel“. „Viele Unternehmen haben bisher nicht realisiert, dass wir in einigen Jahren einen komplett anderen Arbeitsmarkt haben werden als heute. In Zukunft müssen die Arbeitgeber den Arbeitnehmern hinterherjagen, weil wir weniger junge, gut ausgebildete Menschen am Markt finden werden“, weiß der Experte.


Familie und Beruf
Einige Unternehmen haben die brisante Lage erkannt und raten von schnellen Entlassungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ab. Man brauche im Aufschwung wieder Fachkräfte und dürfe diese nicht kopflos vor die Tür setzen, warnen viele Personalexperten dieser Tage. Doch kurzfristige Einsparungen beim Personal sind für Geschäftsführer, die mit dem Rücken zur Wand stehen, die bequemste Lösung.

 

Der Logistikdienstleister Hellmann aus Osnabrück begegnet den demografischen Herausforderungen schon seit vier Jahren. „Das Thema Demografie wurde bei uns nicht mit ,Ü45’ oder ,Ü55’ tituliert. Es hat vielmehr Eingang in unsere Firmenphilosophie, in unsere Führungsleitlinien erhalten“, sagt Bärbel Rasch-Overberg, Leiterin der Hellmann academy. Das Unternehmen ist nach dem Audit Familie und Beruf zertifiziert, um jungen Nachwuchskräften die Vereinbarkeit von Beidem zu ermöglichen und diese damit an das Unternehmen zu binden. „Monetäre Bindung ist im Personalmanagement nicht mehr entscheidend. Die Menschen wollen Beruf und Familie in Einklang bringen. Wir sprechen deshalb von einer Work-Life-Balance“, erklärt der 43-jährige Schalski-Seehann.

Hellmann kam damals ohne Berater aus. Angestoßen wurde das Thema durch eine Diplomarbeit einer Studentin im Praktikum. „Gemeinsam mit unseren Personalmanagern und Führungskräften konzipieren wir gemeinsam Personalentwicklungspläne. In diesem Zusammenhang gibt es ein Nachfolgemanagement, um zu analysieren, wo Handlungsbedarf besteht und wo wir Funktionsprofile weiterentwickeln müssen“, erläutert die ehemalige Lehrerin Rasch-Overberg. Hellmann sieht sich als Familienunternehmen am Recruiting-Markt in der Region noch als einen der begehrtesten Arbeitgeber. Mittelfristige Personalentwicklung ist aber in vielen Betrieben noch ein untergeordneter Aufgabenbereich: eine Nische im Personalwesen. „Der Return on Invest ist im Gegensatz zu Sachinvestitionen zeitlich relativ lang. Investitionen in das Personal rechnen sich nicht sofort in Cash“, stellt Demografieberater Schalski-Seehann fest. Er sieht das Problem vor allem darin, dass viele Unternehmen nur auf kurzfristige Erfolgszahlen schielen.


Vorreiter Metro
Der demografische Wandel darf aber nicht nur von der Nachwuchsseite, dem „war of talents“, gesehen werden. Ein wichtiger Schritt, um die Aufgabe anzugehen, ist die Förderung von älteren Mitarbeitern und die Reorganisation von Arbeits- und Versorgungsprozessen an der Werkbank. Auch technische Innovationen können die Mitarbeiter in der Logistik in Zukunft entlasten.

 

Gesundheitsmanagement im Unternehmen ist das Stichwort. Betriebe mit einer ungünstigen Altersstruktur sollten Ansätze herausfiltern, die die Gesundheit der Mitarbeiter fördert und erhält. Das fängt bei ergonomischen Sitzpositionen an, geht über die Förderung von Fitnessstudiobesuchen und Krankengymnastik bis hin zur gesunden ausgewogenen Ernährung in der Kantine. Die Maßnahmen erhalten die Arbeitskraft älterer Beschäftigter und wirken sich gleichzeitig auch positiv auf die jungen Nachwuchskräfte aus.

Ein positives Beispiel für Gesundheitsförderung in logistischen Prozessen kommt von Deutschlands größtem Einzelhändler, der Metro AG aus Düsseldorf. Die Metro Group Logistic (MGL) wurde von der AOK Rheinland-Pfalz und dem TÜV Saarland für ihr Gesundheitsma­nagement am Lagerstandort Gimbsheim ausgezeichnet. Seit 2005 implementiert das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse Präventionsmaßnahmen. „Der Gesundheitsvorsorge unserer Mitarbeiter räumt die MGL eine besonders hohe Priorität ein“, sagt Peter Kahler, Betriebsleiter im Logistikzentrum. Rund 150 Präventionsmaßnahmen gehören zum Gimbsheimer Gesundheitsmanagement. Kostenlose Fitnessstudio-Nutzung, gute Ernährung und Stressabbau gehören unter anderem dazu.

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Mitarbeiter integrieren
Zur ergonomischen Optimierung der Arbeitsabläufe im Lager wurden Paletten-Auszugsregale auf der zweiten Ebene im Kommissionierbereich montiert. Vorher mussten die Mitarbeiter teilweise auf die 1,40 m hohen Paletten klettern, um auch die Pakete vom hinteren Rand aufnehmen zu können. Dieser Prozess strapazierte Rücken und Gelenke der Angestellten.

Haltungsschäden waren vorprogrammiert. Auch prozesstechnisch führte die Lösung zu einem Erfolg: Bei der Kommissionierung geht nach Angaben von Peter Kahler jetzt weniger zu Bruch. Ein Team aus Mitarbeitern, Führungskräften, Betriebsrat und Betriebsarzt koordiniert zusammen mit der AOK die Gesund­heitsoffensive. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen fördern das betriebliche Vorschlagswesen.

Auch der Automobilbauer BMW hat die Brisanz des Themas erkannt. Die Münchener starteten am niederbayerischen Standort Dingolfing das Pilotprojekt „Arbeitssystem 2017“. In der Hinterachsenmontage wurden Arbeitsplätze ­ergonomisch analysiert und in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München im Rahmen einer Arbeitsplatzanalyse die Montageprozesse sowie die Materialbereitstellung an die Bedürfnisse der älteren Mitarbeiter angepasst. Geräte, wie Schütten zur besseren Bereitstellung der Fertigungsmaterialien, waren dabei ein Entwicklungsergebnis. Die Mitarbeiter sind ebenso wie bei Metro in die Planungen direkt eingebunden.

 

Massage in Meisenheim
Einige Lagertechnikhersteller haben den Trend hin zu mehr Ergonomie im Logistikzentrum erkannt. Sowohl in der eigenen Produktion als auch beim Kunden gehen sie innovative Wege. Beim Behälter- und Regalspezialisten BITO im pfälzischen Meisenheim erhalten die Mitarbeiter Massagen und können Sportangebote in Anspruch nehmen.

SSI Schäfer bestätigt ebenso die Erfahrungen anderer Hersteller. Aus der Praxis berichten Vertriebsleiter von Kundenanfragen über höhenverstellbare Kommissioniertische. In einem zweiten Anlauf kann Schäfer den Kunden dann Prozessoptimierungen im Einklang mit der Ergonomie anbieten. Nach Erfahrungen von Vanderlande Industries ist die Nachfrage an ergonomischen Kommissionierarbeitsplätzen jedoch noch viel zu gering. Die „PICK@EASE“-Lösung wurde nach ergonomischen Gesichtspunkten und unter Mitwirkung des TÜV Nord entwickelt. In der Studie wurde jedoch nur die unterschiedliche Körpergröße der Bediener berücksichtigt, nicht aber die verschiedenen Altersklassen.

„Die Entwicklungen der Hersteller in Bezug auf Ergonomie und Gesundheitserhaltung sind richtig und sowohl für junge als auch für ältere Mitarbeiter wichtig. Sie können aber bisher nur einen Teilaspekt des demografischen Wandels in der Intralogistik abdecken, weil es gegenwärtig noch keine genauen Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Fähigkeiten im Alter und deren Einflüsse auf die Leistung bei logistischen Tätigkeiten gibt“, erklärt Dennis Walch. Er beschäftigte sich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fördertechnik, Materialfluss und Logistik der Technischen Universität München, seit einigen Jahren mit der Herausforderung des demografischen Wandels in der Intralogistik.

Auch Christoph Hahn-Woernle von Viastore Systems in Stuttgart hat die Altersfalle erkannt und setzt im Lager auch auf Automatisierung: „Davon, dass Automaten die Arbeit des Menschen komplett übernehmen, ist man in der Intralogistik noch weit entfernt. Zu breitgefächert und verschieden sind die Aufgaben in der Intralogistik“. Er gibt aber zu bedenken: „Automaten sind jedoch dazu geeignet, begrenzte Spezialaufgaben, bei denen hohe Reproduzierbarkeit und hohe Leistungen gefordert sind, zu erledigen. Im Gegensatz dazu kann der Mensch universelle Aufgaben flexibel lösen. Überschreiten die Anforderungen eine bestimmte Grenze, wird eine automatische Lösung unumgänglich. Um Leistungsfähigkeit und Flexibilität zu verbinden, kombiniert man in vielen Bereichen automatische Teilsysteme zu komplexen Einheiten.“ Automatisierung als Ausweg aus der Altersfalle? Sicherlich kann die Technologie immer nur unterstützend wirken. Gefragt ist auch die Zusammenarbeit zwischen Alt und Jung in den Unternehmen. Das funktioniert aber auch nicht immer reibungslos.


Erfolg durch Lerntandems
„Konflikten, in denen ältere Mitarbeiter diskriminiert und aufgefordert werden: ,Hey Alter arbeite mal schneller’, begegne ich mit Lerntandems“, erklärt der Demografieberater.
Ein zukunftsorientiertes und nachhaltiges Wissensmanagement ist für viele Unternehmen überlebenswichtig. Gehen die älteren Mitarbeiter in Rente, nehmen sie oft wertvolle Erfahrungen, Ideen und Lösungsansätze mit. Die „jungen Wilden“ brauchen aber den Austausch mit den Erfahrenen. Sie stehen vor Aufgaben, denen sie alleine nicht gewachsen sind. Einige Unternehmen haben das Problem erkannt und beschäftigen ihre verrenteten Führungskräfte weiter als externe Berater. Das kostet viel Geld und lindert oft nur die Symptome. Viel wichtiger sind die Lerntandems.

Dort treffen sich Jung und Alt und erarbeiten gemeinsam Prozesslösungen für die Zukunft. Das Ergebnis: eine Mischung aus jugendlicher Begeisterung und der Erfahrung von Profis. Eine Idee, die auch bei Hellmann funktioniert. „Unsere jungen Talente werden in einem Nachwuchsförderungsprogramm durch erfahrene, zumeist ältere, Mitarbeiter angeleitet, begleitet und unterstützt“, erklärt Bärbel Rasch-Overberg. Ein großer Erfolg aus Sicht von Hellmann. Zahlreiche Führungskräfte wollen mittlerweile die Mentorenrolle übernehmen.

Drei Bereiche sollten der Logistikentscheider und sein Personalleiter in Zukunft im Blick behalten: Wo, wie und wen will ich rekrutieren? Wie kann ich meine Nachwuchskräfte an mich binden, wie handle ich mein Wissensmanagement und welche Förderung und Unterstützung brauchen meine erfahrenen älteren Mitarbeiter? Gefragt ist eine ganzheitliche Personalentwicklung. Gerade jetzt, denn nach der Krise ist vor der Krise. Dann stecken viele Unternehmen schon mittendrin im demografischen Tal, in der Altersfalle. We

 

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