Entsorgungslogistik: „Die Verantwortung beginnt mit dem Produktdesign“

Sven Montanus, B2X Care Solutions, über den „Paradigmenwechsel“ in der Servicelogistik für den Consumer-Elektronik-Markt.
Matthias Pieringer

B2X Care Solutions regelt für Smartphone- und Tablet-Hersteller, Versicherungen, Mobilfunkbetreiber und den Handel die Service-Supply-Chain vom Frontend bis hin zur Entsorgungslogistik: Sven Montanus, Leiter Produktentwicklung bei dem Münchner Anbieter von Kundenbetreuungs-Lösungen, erklärt im Interview mit LOGISTIK HEUTE, inwiefern sich in der Service-Lieferkette für den Consumer-Elektronik-Markt ein generelles Umdenken abzeichnet.

LOGISTIK HEUTE: Welche Entwicklungen beobachten Sie derzeit im Bereich Reverse Logistics?
Montanus: Die Servicelogistik für den Massenmarkt Unterhaltungselektronik steht vor einem Paradigmenwechsel, der durch die zunehmende Dominanz von Smartphones und Tablet-Computern geprägt wird. Die Hersteller führen mit jeder neuen Produktgeneration alle paar Monate hunderte neuer Features ein.

Als Endkunde erwarten wir dieses Innovationstempo von den Herstellern, weil die Gerätepreise so hoch sind wie seit langem nicht mehr. Gleichzeitig wächst unser Bedarf an „erklärendem“ Service, weil wir als Endkunde die Möglichkeiten dieser schönen neuen Welt nur ansatzweise begreifen. Die Geräte-Komplexität ist enorm, während unsere Abhängigkeit von Smartphones und Tablets wächst. Wir nehmen Einstellungen vor, wir hinterlegen persönliche, ja zum Teil sensible Daten, zahlen für Apps, Musik, Filme und Spiele. Wir personalisieren also in hohem Maße. Die gängige Service-Philosophie beschränkt sich darauf, Geräte im Problemfall einfach durch ein neues zu ersetzen, um zeitintensive Reparaturen zu vermeiden. Dies sorgt nicht nur für unnötige Kosten und vermeidbaren Elektronikschrott, sondern wird vor allem dem Bedarf der Endkunden nach einem personalisierten Service nicht gerecht.

LOGISTIK HEUTE: Welche Unternehmen betrifft das?
Montanus: Dieser Paradigmenwechsel betrifft die gesamte Service-Supply-Chain, also Hersteller, Netzbetreiber und Handel. Nur im Zusammenspiel können die Beteiligten dem Bedarf an einem ganzheitlichen Service gerecht werden. Die Verantwortung der Hersteller beginnt mit dem Produktdesign: Die Verwendung weniger Bausteine anstatt hunderter Einzelteile ermöglicht wegen der geringeren technischen Komplexität die Reparatur eines Gerätes im Ladengeschäft vor Ort. So lässt sich vermeiden, dass der Kunde im Problemfall entweder ein Austauschgerät bekommt und damit seine persönlichen Geräteeinstellungen verliert oder aber sein Smartphone oder Tablet für mehrere Tage zur Reparatur eingeschickt wird.

Netzbetreiber und Handel müssen die Mission ihrer Retail-Struktur neu definieren: Ihre Läden werden in Zukunft nicht mehr nur als reine Verkaufstheken bestehen können. Um im Wettbewerb mit Online-Händlern wie Amazon mitzuhalten, müssen die großen Netzbetreiber und der Elektronikhandel mit ihren Läden ein neues Kundenerlebnis vermitteln, bei dem ein personalisierter Kundenservice im Vordergrund steht. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass 80 Prozent aller Kundenanfragen direkt im Laden gelöst werden können, und zwar ohne dass das Gerät ausgetauscht werden muss. Warum also an einem veralteten 08/15-Verfahren festhalten, wenn ein besseres Modell bereits möglich ist und Endkunden ohnehin einen kompetenten, ganzheitlichen Service erwarten.

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LOGISTIK HEUTE: Worin sehen Sie die Gründe für diese Entwicklungen?
Montanus: Smartphones und Tablets werden in Kürze herkömmliche Produktkategorien wie Mobiltelefone und Computer nahezu vollständig ersetzen. Das Nutzerkonzept ist aber völlig anders: Einerseits definieren Endkunden mit Apps und Services ihre ganz persönliche Art der Gerätenutzung, andererseits wird unsere Abhängigkeit weiter steigen. Beispielsweise wird das Smartphone die Kreditkarte im täglichen Zahlungsverkehr schon bald ersetzen und intelligentes Zubehör wird unseren Körper rund um die Uhr überwachen. Diesen beiden Aspekten – Personalisierung und Abhängigkeit – muss der Kundenservice gerecht werden.

Als einer von wenigen Herstellern hat sich Apple diesem Trend voll und ganz verschrieben: Für einfache Fragen steht ein Online-Portal zur Verfügung, bei komplexeren Fragen das Call Center oder die Genius Bar im Apple-Geschäft. Vor allem die Genius Bar ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Eine Studie der NPD Group kam zu dem Ergebnis, dass neun von zehn Kunden nach ihrem Besuch der Genius Bar treuere Apple-Kunden sind als davor. Hier wird also mit Serviceanfragen und technischen Problemen systematisch Kundenbindung betrieben.

LOGISTIK HEUTE: Wie könnten sich diese Entwicklungen in der Zukunft fortsetzen?
Montanus: Hersteller, Netzbetreiber und Handel werden langfristig an einem Strang ziehen. Die Strategieabteilungen aller Beteiligten haben längst erkannt, dass guter Service zu einem guten Kundenerlebnis und damit zur Kundenbindung insgesamt beiträgt. Apple hat mit seiner Genius Bar die Durchschlagkraft neuer Servicekonzepte unter Beweis gestellt und die Latte für andere Branchengrößen höher gelegt. Als Serviceanbieter erfahren wir derzeit selbst eine unglaublich starke Nachfrage nach innovativen Servicelösungen.